Univ.-Prof. i.R. Dr. Bernd Jahnke:Zum Gedenken an Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter B. Preßmar
20. Dezember 2018, von Julia Bachale

Foto: Privatbesitz Prof. Dr. Jahnke
Gebürtiger Schwabe, zieht es Dieter Preßmar nach Abschlüssen zum Dipl.-Ing. und Dipl.-Wirtschaftsing. In Stuttgart und München mit seinem akademischen Lehrer, Professor Dr. Dr. h.c. mult. Herbert Jacob, nach Hamburg. Dort promoviert er zum Dr. rer. pol. und nimmt nach der Habilitation für Betriebswirtschaftslehre 1973 den Ruf auf den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Datenverarbeitung an, in heutiger Terminologie einen der ersten Lehrstühle für Wirtschaftsinformatik in Deutschland. Einige deutsche Universitäten möchten ihn in den Folgejahren sehr gerne berufen. Doch er bleibt Hamburg trotz zweier weiterer ehrenvoller Rufe aus dem Ausland (Linz 1977, Bern 1982) treu.
Sein wissenschaftliches Werk ist weit gespannt und enthält wichtige Veröffentlichungen und Herausgeberschaften v.a. zu den Schwerpunkten Produktions- und Kostentheorie, Produktionsplanung, Operations
Research und natürlich Wirtschaftsinformatik. Diese Gebiete werden von ihm nicht isoliert gesehen, vielmehr übergreifend, im Idealfall ganzheitlich betrachtet und behandelt. Der rote Faden ist durch Entscheidungsprozesse gegeben, deren Planung, Realisierung und Kontrolle auf betriebswirtschaftlichen Theorien, auf praktischen Analysen und Konzepten, auf Anwendung komplexer, meist hybrider Verfahren des Operations Research sowie auf Einsatz des Instrumentariums der Wirtschaftsinformatik basieren.
Dieter Preßmar hat stets die Verbindung von Forschung und Lehre, von Theorie und Praxis im Auge gehabt. Damit steht er ganz in der Tradition Herbert Jacobs und Erich Gutenbergs, der sich einmal in einem ausführlichen Brief an seinen „akademischen Enkel“ voll des Lobes über dessen Buchveröffentlichung der Dissertation geäußert hat.
Der für ihn so typische Ansatz, betriebswirtschaftliche Theorie, mathematische und EDV-technische Lösungsverfahren sowie empirische Analysen integrativ zu verbinden, zeigt sich schon zu Beginn seines wissenschaftlichen Wirkens. Der Titel seiner im Jahre 1968 fertig gestellten Dissertation lautet „Die Kosten-Leistungs-Funktion industrieller Produktionsanlagen". Sie erscheint 1971 unter der Überschrift „Kosten- und Leistungsanalyse im Industriebetrieb“ im Dr. Th. Gabler Verlag. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass zwar einerseits große Fortschritte auf den Gebieten der Theorie des unternehmerischen Planungs- und Entscheidungsprozesses, der Problemlösungsansätze und der EDV-technischen Unterstützung vorliegen, aber andererseits die Beschaffung der Planungsdaten problematisch ist. Hier liefert die Dissertation mit einer theoretischen wie empirischen Untersuchung der Kosten-Leistungsfunktion wesentliche Beiträge, die z.T. später noch vertieft werden können, wie etwa in dem ZfB-Aufsatz von 1969 „Ein mathematisches und geometrisches Modell der ertragsgesetzlichen Produktionsfunktion“.
Die Habilitationsschrift (1972) ist dem Thema „Theorie der dynamischen Produktionsplanung“ gewidmet. Im Mittelpunkt steht ein Dilemma: Wird der Planungszeitraum aus planungstechnischen Gründen als äquidistantes Zeitraster vorgegeben, so sind bei grober Rasterung die zeitlichen Freiheitsgrade zu sehr eingeschränkt, bei feiner Einteilung verhindert der erforderliche Modellierungs- und Optimierungsaufwand die Lösung. Preßmar erreicht die Auflösung des Dilemmas durch die Konstruktion dynamischer Planungsmodelle auf der Grundlage eines variablen und entscheidungsabhängigen Zeitrasters. Mit diesem Ansatz wird grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, dynamische Systeme mit diskreten Zustandsänderungen abzubilden und unter einer gegebenen Zielfunktion zu optimieren. Somit lassen sich mit Dieter B. Preßmars Ansatz u.a. Probleme der simultanen Produktions- und Ablaufplanung mathematisch exakt und optimal lösen.
Die Forschung in diesem Problembereich sowie die Umsetzung in die Praxis werden von ihm über viele Jahre hinweg beharrlich und kreativ vorangetrieben. Zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge zeugen von den erzielten Fortschritten, zu denen auch die sich rasant entwickelnde Leistungsfähigkeit der Informationstechnologie beiträgt. So setzt er ab Ende der 80er Jahre auch vernetzte PCs als Parallelrechner zur Lösung gemischt-ganzzahliger Planungsprobleme ein.
Auf die vielen weiteren Arbeiten und Veröffentlichungen kann hier nicht detailliert eingegangen werden, einige Bereiche sollen jedoch hervorgehoben werden. Hierzu gehören Anwendungen der Informationstechnologie, Software-Engineering, Führungsinformationssysteme, Datenfernübertragung und verteilte Systeme, Kostenrechnung in Rechenzentren sowie das Profil der Wirtschaftsinformatik. Wichtige Forschungsbeiträge auf Preßmars Arbeitsgebieten liegen natürlich auch in Form der Dissertationen seiner zahlreichen Doktoranden vor. Zu seinem 65. Geburtstag 2001 wird er durch einen Festakt und die Vorlage einer Festschrift mit Beiträgen vieler seiner promovierten und habilitierten Schüler geehrt. Sein Werk wird schließlich 2003 durch die Verleihung des Titels eines Ehrendoktors durch die Universität Siegen gebührend gewürdigt.
Dieter B. Preßmar übernimmt darüber hinaus viele wichtige Aufgaben und Ämter, selbst wenn größere Risiken damit verbunden sind. Besonders herausfordernd ist es für ihn, die Leitung der Projektgruppe „Zentrale Registrierstelle für Studienbewerber“ (ZRS, als Vorläufer der ZVS und der heute tätigen Stiftung für Hochschulzulassung) zu übernehmen und die Entwicklung wie die Implementation des Softwaresystems für die bundesweite Zulassung von Studierenden verantwortlich zu betreiben und trotz vielfältiger Schwierigkeiten und enormen Zeitdrucks erfolgreich und pünktlich abzuschließen. Er gründet und leitet mehrere Studiengänge, ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Operations Research, Präsident des IX. Weltkongresses für Operations Research (IFORS), Leiter des Fachausschusses „Anwendungen im Finanz- und Rechnungswesen“ der Gesellschaft für Informatik, Mitglied der Kommission für Rechenanlagen der DFG und des Wissenschaftsrats der Bundesrepublik Deutschland.
Manch riskante und aufwändige Aufgabe übernimmt er aus eigener Initiative. Ein sehr menschliches Beispiel: Er erfährt, dass an der Wirtschaftsuniversität Taschkent (Usbekistan) keine PCs für die studentische Ausbildung zur Verfügung stehen. Auf eigene Faust, unter Überwindung vieler bürokratischer und technischer Hürden, lässt er im PC-Labor ausgediente PCs nach Taschkent schaffen. Mit einem EDV-Team fliegt er hinterher. In tagelanger Arbeit, unter sehr schlechten Voraussetzungen, sogar mit Strippen ziehen für die elektrische Versorgung, wird das PC-Labor erfolgreich wieder aufgebaut. Neben dem Dank vieler Personen erfolgt im Jahr 2000 der Lohn durch die Verleihung des Titels eines Professors ehrenhalber.
An der Universität Hamburg ist Dieter Preßmar ab 1974 Direktor des Instituts für Unternehmensforschung. In den 80er Jahren initiiert er mit führend das Wirtschaftsinformatik-Förderprogramm des BMBW, bekannt geworden auch als „Möllemann-Programm“. Davon profitiert auch die Hamburger Wirtschaftsinformatik. 1995 wird er Direktor des IWI (Institut für Wirtschaftsinformatik). Seine zahlreichen Mitarbeiter, Doktoranden wie auch seine Studierenden schätzen seine engagierte, konstruktive und kreative Art. In fachlichen wie politischen Diskussionen versucht er argumentativ, nachdrücklich und eloquent mit seiner Meinung zu überzeugen. Das obige Bild zeigt ihn in der dann für ihn so typischen Haltung. Eine ganze Reihe von Schülern unterstützt er bei deren Firmengündungen nachhaltig, ist von 2000 bis 2011 in mehreren Aufsichtsräten Mitglied bzw. Vorsitzender.
Das Berufliche steht bei Dieter Preßmar sehr stark im Vordergrund, es überschneidet sich aber durchaus teilweise mit dem Privaten. Dies zeigt sich exemplarisch an seiner großen Leidenschaft, dem Skifahren. Bei mehrtägigen Lehrstuhl-Skiausflügen werden auch fachliche Vorträge gehalten und selbst im Skilift wird konstruktiv über Probleme der Doktoranden diskutiert. Er ist jederzeit fachlich wie privat ansprechbar und zugänglich für seine Mitarbeiter und Doktoranden. Führungsperson ist er nicht nur am Lehrstuhl, auch auf der Piste wedelt er mit dem allen bekannten Ruf „Alles auf, mir nach!“ vorneweg die Falllinie hinunter.
Neben dem Skifahren spielen die klassische Musik und darstellende Künste eine wichtige Rolle in seinem Leben, insbesondere nach seiner Emeritierung. Einige Personen, die schon vor diesem Zeitpunkt viel mit ihm zu tun haben, begleiten ihn weiterhin im Ruhestand, es entstehen Freundschaften.
Eine wichtige Rolle spielt im Leben von Dieter B. Preßmar ferner seine Burschenschaft, die Ghibellinia Stuttgart. Viel beachtet wird seine „Wartburg-Rede“ zum Burschentag 2009 in Eisenach. In dieser bekennt er sich zum „… demokratischen und freiheitlichen Rechtsstaat Deutschland und dem mit deutscher Unterstützung gegründeten Europa“.
Leider muss er in seiner letzten Lebensphase mehrere schwere gesundheitliche Rückschläge hinnehmen, die er aber erstaunlich gut bewältigt. Er ist immer ein Kämpfertyp gewesen. Die Demenz allerdings macht ihm immer stärker zu schaffen. Sein Tod kommt plötzlich und unerwartet, mit 82 Jahren stirbt er viel zu früh.
Dieter wird uns in sehr lebendiger Erinnerung bleiben. Wir sind dankbar für die gemeinsamen Zeiten und trauern um ihn als Protagonisten der deutschen Wirtschaftsinformatik und als Menschen schlechthin.
Ein Nachruf, verfasst von Univ.-Prof. i.R. Dr. Bernd Jahnke, Eberhard Karls Universität Tübingen