Stellungnahme der JOURQUAL-Initiatoren und langjährigen wissenschaftlichen Leiter zu einem neuen Zeitschriftenranking des VHB
9 April 2020, by Sabine Meyer
Der VHB hat in den letzten Monaten an einer Neuauflage des von Prof. Hennig-Thurau vor 1 1/2 Jahrzehnten initiierten und bis einschliesslich der dritten Ausgabe gemeinsam mit Prof. Henrik Sattler (Univ. Hamburg) geleiteten Zeitschriften-Rankings JOURQUAL gearbeitet. JOURQUAL (gegenwärtig gültig in seiner dritten Auflage) ist an nahezu allen deutschsprachigen Universitäten eine wichtige, wenn nicht DIE Grundlage für die Beurteilung der wissenschaftlichen Qualität von Zeitschriftenpublikationen in der BWL. Der VHB hat vor kurzem Informationen zu der geplanten Neuauflage des Rankings vorgestellt, die zahlreiche z.T. fundamentale Aenderungen vorsehen, die einen potenziell weitreichenden Einfluss auf die Bewertung und Einstufung von Zeitschriften haben duerften. Die Professoren Hennig-Thurau und Sattler nehmen hier Stellung zu den geplanten Änderungen.
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Münster/Hamburg, den 8. April 2020
Seit Ende 2018 hat sich eine Arbeitsgruppe im VHB zur Weiterentwicklung des Journalrankings VHB-JOURQUAL unter Vorsitz von Prof. Hans Ulrich Buhl gebildet. Der gegenwärtige Stand der Arbeiten wurde kürzlich von Prof. Andreas Löffler zusammengefasst und durch entsprechende Unterlagen konkretisiert.
Wir, die Professoren Hennig-Thurau und Sattler, haben im September 2018, also deutlich vor Einrichtung der Arbeitsgruppe durch den VHB, erklärt, dass wir als Initiatoren bzw. wissenschaftliche Leiter nach 15 Jahren Arbeit an der Konzeption und Umsetzung des Journalranking JOURQUAL eine etwaige Weiterentwicklung des von uns in enger Abstimmung mit dem VHB herausgegebenen Ranking (aktuell in der Fassung JOURQUAL3) nicht mehr vornehmen möchten und als Herausgeber ausscheiden (siehe https://www.marketingcenter.de/en/news/1299#mce_temp_url#). Wir haben die Arbeitsgruppe in ihrer ersten Sitzung über die Entwicklungsgeschichte des Rankings sowie den aktuellen Stand informiert; die entsprechende Präsentation haben wir dieser Stellungnahme beigefügt. Da es in den vergangenen 1 ½ Jahrzehnten und drei Versionen von JOURQUAL zahlreiche Varianten und Erkenntnisse gegeben hat, was funktioniert (und was nicht) empfehlen wir allen, die sich in die aktuelle Diskussion um eine Veränderung des Rankings einbringen wollen, sich mit der Geschichte von JOURQUAL vertraut zu machen.
Trotz unseres ausdrücklichen Angebotes, die „weiteren Entwicklungen als Teil des Beirats beratend zu begleiten“ (siehe Folie 30), sind wir an der vorliegenden Neuentwicklung wie in keiner Weise beteiligt worden; unsere Informationen entsprechen denen jedes anderen VHB-Mitgliedes. Der interdisziplinär und hochrangig besetzte bisherige Beirat von JOURQUAL wurde ebenso wie die existierende JOURQUAL-Geschäftsordnung vom 15.11.2010, die gemeinsam von uns, dem VHB-Vorstand und dem JOURQUAL-Beirat beschlossen wurde, unseres Wissens nach entweder abgeschafft oder schlicht ignoriert.
Zu den aktuellen Entwicklungen nehmen wir auf Basis der vorliegenden Dokumente wie folgt Stellung:
1. Die Methodik des gegenwärtigen Rankings JOURQUAL3 wurde gemeinsam von uns mit dem JOURQUAL-Beirat und dem VHB-Vorstand beschlossen. Sie weist eine hohe Validität und breite Akzeptanz unter den VHB-Mitgliedern auf (siehe Folie 29 – 75% der Mitglieder bewerten den Ansatz von JOURQUAL in 2007 als „gut“ oder „sehr gut“; nimmt man „teils-teils“ hinzu kommt man auf rund 95%). Wir sehen daher keine Notwendigkeit für eine wie auch immer geartete größere methodische Neuentwicklung.
2. Die aktuell zur Diskussion gestellten Veränderungen sehen eine Vielzahl an Bewertungskriterien für Zeitschriften vor. Ein solches Vorgehen verwässert unseres Erachtens die für wissenschaftliche Veröffentlichungen zentrale Dimension der „wissenschaftlichen Qualität“. Die Hinzunahme weiterer Kriterien (ohne eindeutige Nachrangigkeit dieser zusätzlichen Kriterien) verändert das Ranking grundlegend, da nun Zeitschriften mit mittlerer oder sogar geringer wissenschaftlicher Qualität als A oder sogar A+ Zeitschriften gerankt werden können. Eine Zeitschrift wie z.B. der Harvard Manager mag aufgrund ihrer großen Praxisnähe als A+ Zeitschrift gerankt werden, andere Zeitschriften auf Grund ihrer „herausragenden Prozessdauer“ und ihrer „außergewöhnlichen Offenheit für Neues“ ebenfalls. Eine Zeitschrift wie Management Science dürfte bei diesen zusätzlichen Kriterien vermutlich nur ein B oder schlechter erhalten (da z.B. die Prozessdauer bei Management Science nun einmal bekannter Maßen allenfalls „gut“ ist – wissenschaftliche Rigorosität bedeutet ja stets, dass man kurzfristige Phänomene nur mit Verzögerung adressieren kann).
In der Folge wäre dann der Harvard Manager ebenso eine A+ Zeitschrift, Management Science bei Zugrundelegung entsprechender Kriterien des Rankings hingegen nicht mehr. Weiter noch: Fast jede wissenschaftliche Zeitschrift dürfte in zumindest einer der genannten „Dimensionen“ A+ oder A-Status erreichen (denn es wird ja einen Grund für ihre Existenz geben!). Eine solche Bewertung widerspricht indes den allgemein und weltweit akzeptierten Einstufungen der Qualität von wissenschaftlichen Zeitschriften und würde bei den Kollegen anderer Disziplinen wie der VWL, aber auch international für Irritationen und Kopfschütteln sorgen. Am schlimmsten aber: sie würde Anreize schaffen, welche die deutsche BWL im internationalen Forscherwettstreit deutlich zurückwerfen würden. Übrigens war JOURQUAL in seiner ersten Version zweidimensional, was aber später aus gutem Grund zugunsten eines eindimensionalen Qualitätsverständnisses geändert wurde. Wir, die Unterzeichner, haben immer wieder mit Nachdruck auf diesen Sachverhalt hingewiesen, u.a. bei der ersten Sitzung der Arbeitsgruppe.
3. Mit großer Sorge haben wir auch den Vorschlag zur Kenntnis genommen, dass offenbar ein und dieselbe Zeitschrift von verschiedenen Teildisziplinen unterschiedliche Ratings erhalten soll, auch in Bezug auf ihre wissenschaftliche Qualität. Diese Entwicklung könnte dazu führen, dass z.B. das Journal of Marketing bei den Kollegen von Finance oder Accounting nicht als A+ Zeitschrift, sondern als A oder sogar B-Journal eingestuft wird, da es keinen allzu großen Beitrag für die Fortentwicklung der Finance/Accounting-Wissenschaft leistet (die wissenschaftliche Qualität einer Zeitschrift ist seit JOURQUAL3 definiert als „das Ausmaß, in dem die betreffende Zeitschrift die BWL als wissenschaftliche Disziplin voranbringt“).
Auch eine solche unterschiedliche Einstufung würde das einheitliche Qualitätsverständnis der BWL weiter aufweichen und würde Kollaborationen zwischen verschiedenen BWL-Disziplinen noch schwerer machen als dies ohnehin schon der Fall ist. Welcher international renommierte Finance-Kollege beteiligt sich an einem Projekt mit Ausrichtung auf das Zieljournal Journal of Marketing, wenn dies in seiner Disziplin nur als B bewertet würde? Wir haben zudem in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die Erfahrung gemacht, dass es von großem Vorteil ist, die Bewertung von Journals nicht als „Kommissionsangelegenheit“ zu interpretieren, da dies eine massive „Innensicht“ zur Folge hat, welche die für ein valides und aussagekräftiges Rating unverzichtbare „Außensicht“ ignoriert. Ein Ranking darf nicht dazu führen, dass sich jede Teildisziplin ihre A+ und A Zeitschriften „schnitzt“, unabhängig davon, was andere Teildisziplinen denken.
Wir möchten schließlich darauf hinweisen, dass die angestrebte grundlegende Änderung des Rankings nicht unter der Bezeichnung „JOURQUAL“ erfolgen kann, sondern ein solches neues Ranking auch einen neuen Namen tragen muss. Dies ist unabwendbar, um etwaige Verwirrungen bei den Nutzern auszuschließen und zu verhindern, dass die hohe Validität und der gute Ruf der bisherigen Methodik für eine neue, andere Methodik herhalten muss und entsprechende, möglicherweise irrtümliche Qualitätssignale sendet. Als Inhaber der Markenrechte an „JOURQUAL“ stünden wir aus diesen Gründen für eine weitere Nutzung des Namens durch den VHB nicht zur Verfügung. Wir haben auch dies bereits bei der ersten Sitzung der Arbeitsgruppe klargemacht (siehe Folie 31).
Thorsten Hennig-Thurau & Henrik Sattler