Digital ResponsibilityÜber die Verantwortung im digitalen Umfeld
14. Oktober 2025

Foto: UHH/Longe
Der Experte für Digitales Prof. Dr. Jan Recker spricht in einem Interview über das Thema Digital Responsibility, zu dem er einen Leitartikel im "Journal of the Association for Information Systems“ verfasst hat.
Jan Recker ist Nucleus Professor für Informationssysteme und digitale Innovationen an der University of Hamburg Business School. Im aktuellen Ranking der Stanford University zu den weltweiten Spitzenwissenschaftlern belegt er im Fachgebiet Wirtschaftsinformatik deutschlandweit Platz zwei und weltweit Platz 81 von 18.546 Forschenden in dem Bereich.
Unter dem Titel „Digital Responsibility: Current Perspectives and Future Directions“ hat Prof. Dr. Recker einen Leitartikel im „Journal of the Association for Information Systems“ in einem Sonderheft zum Thema Digital Responsibility verfasst. Was sich hinter dem Begriff verbirgt, erklärt der Experte für Digitales in einem Interview.
Herr Professor Recker, in einem wissenschaftlichen Editorial haben Sie sich im Kontext von verschiedenen Forschungsarbeiten mit dem Thema Digital Responsibility beschäftigt. Was ist unter dem Begriff zu verstehen?
(Prof Dr. Jan Recker:) Digitale Verantwortung bedeutet, sich sowohl mit der Kraft als auch der Gefahr von Digitalisierung auseinanderzusetzen, in Bezug auf Menschen, Unternehmen und Gesellschaften. Dabei geht es im Wesentlichen um drei Aspekte: Zum einen um die Übernahme von Verantwortung sowohl für schädliche als auch für positive Auswirkungen des Umgangs mit digitaler Technologie. Zum anderen die Verpflichtung, positive Ergebnisse der Digitalisierung zu ermöglichen und gleichzeitig vor möglichen negativen Folgen zu schützen. Und zuletzt geht es auch um das Versprechen, verlässlich zu sein, das heißt, sich dazu zu verpflichten, Verantwortung und Verpflichtungen dauerhaft und konsequent wahrzunehmen.
Wie könnte dies konkret umgesetzt und kontrolliert werden?
Durch zwei Dinge: Erstens, man braucht immer einen klaren Ansprechpartner: Welchen Akteur - als Person oder Firma zum Beispiel - kann ich bezüglich Verantwortungen, Verpflichtungen oder Versprechen kontaktieren? Der Austausch über Digitale Verantwortung beginnt immer damit, dass ich mit jemand Zuständigen reden kann. Zweitens, es muss Prozeduren geben, über die ich Verantwortung ausüben oder einfordern kann – zum Beispiel, wenn ich eine Verletzung von Verpflichtungen feststelle. Wie diese Prozeduren aussehen, ist Auslegungssache und kann ja auch geändert werden, aber es ist erstmal wichtig, überhaupt Abläufe zu haben, die man abwickeln kann.
Gibt es überhaupt schon Regeln für den Umgang mit digitalen Technologien?
Ja, teilweise, aber weder flächendeckend, noch einheitlich oder konsistent. In Europa beispielsweise gibt es Regularien, wie die Datenschutz-Grundverordnung oder die europäische Verordnung über künstliche Intelligenz. Diese Regeln gelten aber in anderen Ländern nicht. Andere Länder haben teilweise Regularien mit anderen Inhalten, teilweise auch gar keine. Digitale Technologien aber operieren oft global, über Ländergrenzen hinweg. Auch gibt es gesellschaftliche Normen oder organisationale Selbstverpflichtungen, die von manchen getroffen und eingehalten werden – von anderen aber nicht. Oder sie werden einfach anders wahrgenommen. Es gibt einen bunten und lückenhaften Teppich an Regeln.
Inwiefern unterscheidet sich der Umgang mit dem Thema Digital Responsibility in den einzelnen Ländern oder Regionen, beispielsweise wenn man die USA, China und Deutschland bzw. die EU miteinander vergleicht?
Wenn man diese Regionen und Länder betrachtet, ist die Gesetzeslage sehr unterschiedlich, aber auch die gesellschaftlichen Normen und moralischen Werte, die dem Thema Verantwortung zugrunde liegen. Das betrifft zum Beispiel Erwartungshaltungen bezüglich Rechenschaftspflichten für Nutzende oder Anbietende von digitalen Technologien, gegenüber dem Datenschutz und dem Recht auf geistiges Eigentum von digitalen Inhalten.
Wie kann jeder Einzelne zu mehr digitaler Verantwortung beitragen?
Vor allen Dingen durch ein gestärktes Bewusstsein, dass digitale Technologien weder uneingeschränkt gut noch uneingeschränkt schlecht sind – sie bieten Möglichkeiten, Dinge zu gestalten und umzusetzen, aber schlussendlich sind es immer Menschen, die Technologien gestalten oder zu bestimmten Zwecken nutzen. Wenn man sich bewusst macht, dass Technologienutzung sowohl ungeahnte positive als auch negative Wirkungen bewirken kann, kommt man automatisch dazu, diese abzuwägen.
Wie sehen Sie die Zukunft der digitalen Welt?
Als Wirtschaftsinformatiker untersuchen wir eine Vielzahl von Phänomenen an der Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Technologie. Dabei schwingt immer Begeisterung und Optimismus mit hinsichtlich des Potenzials digitaler Technologien, Gutes zu bewirken. Die Historie zeigt, dass dieses Gefühl begründet ist. Wir sollten diese Zuversicht nicht einschränken, aber wir müssen sie besser kontextualisieren. Die KI zum Beispiel bietet viele Möglichkeiten, große gesellschaftliche Probleme zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt oder auch in der Pflege zu lösen – sie kommt aber auch mit einem enormen ökologischen Fußabdruck und einem möglichen Verlust menschlicher Autonomie. Wir müssen immer abwägen, welche Möglichkeiten mit welchen Tradeoffs verbunden sind, und ob wir zu diesen bereit sind.
Unsere Sonderausgabe zum Thema digitale Verantwortung ist ein Aufruf, einen berechtigten, aber gemäßigten Optimismus hinsichtlich der Kraft der digitalen Technologie zum Wohle der Menschheit zu bewahren. Unser Glaube an das Potenzial der digitalen Technologie zur Lösung der Probleme der Menschheit muss bestehen bleiben – aber wir müssen uns auch bewusst sein, dass diese Macht mit der Verpflichtung einhergeht, sie verantwortungsbewusst auszuüben. Für mich ist das Bewusstsein für die Chancen und Gefahren digital ermöglichter, verkörperter oder vermittelter Handlungen der Schlüssel zur Übernahme digitaler Verantwortung. Wir hoffen, dass unsere Sonderausgabe dazu beitragen wird, einen kollektiven Optimismus hinsichtlich der Möglichkeiten digitaler Technologien neu zu beleben, aber auch neu zu definieren.