InterviewDer Einfluss politischer Entscheidungen auf unser Gesundheitssystem
24. Juli 2025, von Areez Sheikh

Foto: privat
Wie beeinflussen politische Entscheidungen unser Gesundheitssystem und was können wir aus der Zusammenarbeit mit anderen Kontinenten in der Forschung lernen? Unsere Gastforscher:innen aus Iowa, USA, geben Einblicke in ihre Fachgebiete.
Dr. Meghan Esson und Dr. Cameron Ellis sind zwei Forschende des renommierten Tippie College of Business der University of Iowa. Von Mai bis Juli dieses Jahres waren sie Gäste der Dekanin Prof. Dr. Petra Steinorth, Professur für Risikomanagement und Versicherung, und brachten nicht nur Fachwissen, sondern auch transatlantische Perspektiven mit. In einem persönlichen Gespräch haben wir über ihre Forschungsgebiete und ihre Eindrücke von der Business School und Hamburg gesprochen.
Business School: Was hat Sie an die Professur von Prof. Dr. Steinorth an der University of Hamburg Business School geführt?
Dr. Meghan Esson: Ich habe Petra Steinorth erstmals auf den Jahrestagungen der American Risk and Insurance Association 2016 oder 2017 getroffen. Versicherungswesen ist ein kleines Fachgebiet, daher lernt man die aktiven Personen in der Community schnell kennen, und Petra war immer außergewöhnlich zugänglich. Wir sprachen damals über einen zukünftigen Besuch in Hamburg, auch weil einige ihrer Doktorand:innen an Medicaid-Themen interessiert waren, die sich mit meiner eigenen Arbeit überschneiden.
Dr. Cameron Ellis: Mein erstes Aufeinandertreffen mit Petra Steinorth war etwas früher, um 2015, auf einer Konferenz. Als wir uns letztes Jahr wieder trafen, haben wir schließlich die Termine für einen gemeinsamen Forschungsaufenthalt festgezurrt. Hamburg ist außerdem eine gute Wahl, weil Europa, und insbesondere Deutschland, eine so bedeutende Rolle in der Versicherungsbranche spielt.
Dr. Ellis, Sie haben während Ihres Aufenthalts ein Seminar gehalten. Unterscheidet sich das Präsentieren in Deutschland von dem in den USA?
Ellis: Es ist schwer zu verallgemeinern, da die Seminarkultur in den USA regional variiert, aber ich habe einen Unterschied im Interaktionsstil beobachtet: Deutsche Zuhörer:innen warten typischerweise bis zum Ende mit Fragen, während in manchen US-Settings Fragen auch während des Vortrags kommen können.
Esson: Die Fachrichtung spielt auch eine Rolle. In Gesundheitsökonomie-Seminaren warten die Leute normalerweise bis zum Ende, während sie in Finanz-Seminaren während des Vortrags unterbrechen.
An welchen Projekten arbeiten Sie während Ihres Aufenthalts?
Ellis: Ich analysiere, wie Enterprise-Risk-Management (ERM)-Programme das Unternehmensverhalten beeinflussen. Regulierungsbehörden lieben es, solche Rahmenwerke vorzuschreiben - man denke an Solvency II oder Basel III - aber wir wissen immer noch wenig darüber, ob die verpflichtende Einführung reale Entscheidungen verändert (Anm. d. Red.: Solvency II ist die EU-Versicherungsregulierung und Basel III der globale Bankenstandard). Die USA bieten ein gutes Forschungsumfeld, weil einige Bundesstaaten ERM-Vorschriften früher umgesetzt haben als andere, sodass wir Unternehmen über diese Grenzen hinweg vergleichen können.
Esson: Mein Fokus liegt auf dem sogenannten "Charity Hazard" (Anm. d. Red.: wenn die Verfügbarkeit kostenloser Versorgung die Nachfrage nach Versicherungen verringern kann) in der US-Krankenversicherung. Die Standardannahme ist, dass Menschen mehr kostenlose Versorgung in Anspruch nehmen, wenn Krankenhäuser sie anbieten. Aber wie beeinflusst diese Großzügigkeit auf der Angebotsseite tatsächlich die Entscheidungen der Menschen über den Versicherungskauf und die Nutzung von Krankenhausleistungen? Ich messe, wie der Zugang zu kostenloser Versorgung die Versicherungsnachfrage und die Krankenhausnutzung verändert, insbesondere für Haushalte in der Nähe von Anbietern.
Ihre Arbeit zeigt oft, wie politische Veränderungen Krankenhäuser und Rettungsdienste beeinflussen. In Ihrer Forschung haben Sie gezeigt, wie gut gemeinte Gesetze und Maßnahmen durch Verhaltensänderungen der Menschen zu höheren Kosten für alle führen können. Was können wir aus fehlkonzipierten Maßnahmen lernen, und wie können wir verhindern, dass dasselbe wieder passiert?
Esson: Das ist die grundlegende Frage: Wie gestalten wir ein Gesetz, das das gewünschte Ergebnis herbeiführt? Das Problem ist, dass weittragende Gesetze viele Nuancen aufweisen. Wir müssen jeden Teil des Gesetzesdesigns durchdenken, was leichter gesagt als getan ist.
Ellis: Ein gutes Beispiel ist das Oregon Health Insurance Experiment. Im Jahr 2008 weitete der Bundesstaat Oregon Medicaid für einkommensschwache Erwachsene per Losverfahren aus. Da die Versorgung zufällig zugewiesen wurde, konnten Forscher:innen von Harvard und MIT kausale Effekte messen. Das Programm verbesserte die finanzielle Sicherheit, aber die Besuche in der Notaufnahme nahmen kurzfristig tatsächlich zu, was genau das Gegenteil von dem ist, was die Politiker:innen erhofft hatten. Die Lehre ist, dass selbst gute Ideen Nebenwirkungen haben können. Daher sollten wir Reformen rigoros testen, bevor wir sie hochskalieren.
Esson: Und wir müssen flexibel bleiben. Sobald Beweise vorliegen, sollten Regierungen bereit sein, nachzusteuern, anstatt auf einem fehlerhaften Design zu beharren.
Seit der Veröffentlichung Ihrer Arbeit über das fehlkonzipierte Gesetz, hat sich auf der politischen Ebene etwas geändert?
Ellis: Nicht wirklich. Die Medicaid-Regeln haben sich etwas bewegt, aber es gab keine gezielte Reform der Notfallversorgungsabteilungen.
Welches aufkommende Thema im Risikomanagement sollten Studierende im Auge behalten und warum?
Ellis: Climate Finance. Der Klimawandel beschleunigt sich und die Versicherungsprämien für Hausbesitzer:innen schießen in die Höhe. Neue, hochwertige Daten sind endlich verfügbar, sodass wir untersuchen können, wie Unternehmen Klimarisiken managen. Diese Forschung wird auch zunehmend in Top-Journals veröffentlicht.
Esson: Künstliche Intelligenz. Versicherer nutzen KI bereits zur Betrugsbekämpfung und zur Optimierung von Schadensabwicklungen, aber Algorithmen können auch Fehler erzeugen, denken Sie an übermäßige Leistungsverweigerungen im Gesundheitswesen. Studierende sollten außerdem KI in ihrem eigenen Leben ausprobieren, ihre Vor- und Nachteile abwägen und überlegen, wie Unternehmen die Technologie verantwortungsvoll steuern können.
Abseits des Campus, was hat Sie in Hamburg am meisten beeindruckt?
Ellis: Die Alster. Ich wohne in Mundsburg, und jeder Spaziergang entlang der Kanäle offenbart eine weitere schöne Straße oder Brücke mit beeindruckender Architektur, selbst in Wohnvierteln.
Esson: Die Stadt ist unglaublich freundlich und einladend. Jeder lässt mich mein Deutsch üben und Orte wie das Miniaturwunderland sind einfach wunderbar.
Was ist die wichtigste Erkenntnis Ihres Besuchs?
Esson: Der akademische Austausch war fantastisch. Das Feedback, das wir erhalten haben, wird unsere Arbeit verbessern.
Ellis: Ich stimme vollkommen zu. Hamburg war ein sehr angenehmer Ort, um Forschung zu betreiben.